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Tüday

Presseerklärung zu den Angriffen der türkischen Regierung auf die Region Afrin und die Annäherung der deutschen Regierung

Die derzeitige Annäherung zwischen der deutschen und der türkischen Regierung findet in einer Weise statt, die wir ablehnen. Die Zurückhaltung bei der Beurteilung des Kriegseinsatzes, das Schweigen zu Menschenrechtsverletzungen, das Vorgehen gegen kurdische Organisationen in Deutschland und die Lieferung von Panzern bzw. deren Nachrüstung stellen eine einseitige Annäherung an Erdoğan dar und entfernt die Bundesregierung immer weiter von der türkischen Zivilgesellschaft.

Der Krieg gegen Afrin

Seit dem 20. Januar 2018 greift die türkische Regierung mit Luftangriffen und Bodentruppen die syrische Region Afrin an. Dieses Gebiet war bisher vom Bürgerkrieg weitgehend verschont geblieben und beherbergt viele Minderheiten, die zum Teil aus anderen Teilen des Landes dorthin geflohen waren. Unterstützt wird die Türkei dabei von Einheiten, die sich als Freie Syrische Armee bezeichnen, bei denen es sich größtenteils um dschihadistische Gruppen handelt. Es gibt wenig verlässliche Informationen über die Anzahl der Toten. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte zählte bis zum 29. Januar 55 Zivilist*innen, nach Informationen der UNICEF wurden allein bis zum 26. Januar 11 Kinder getötet. Angesichts der bisherigen Politik der Türkei und ihrer Verbündeten fürchten besonders die jezidische und die christlichen Minderheiten um ihr Leben.

Der Angriff war schon lange angekündigt, allerdings zunächst zeitlich und räumlich begrenzt. Am 13. Januar erklärte Erdoğan, die Türkei könne „in Afrin zuschlagen und innerhalb einer Woche wieder raus sein."2 Auch in den ersten Tagen der Angriffe schien es noch, der Angriff wäre befristet und die türkische Regierung würde sich auf einen 30 Kilometer breiten Korridor beschränken. Doch als die Kritik der Nato-Partner, insbesondere der Bundesregierung ausfiel, fühlte sich die Türkei offenbar dazu ermuntert, ihre militärischen Ziele auszuweiten. Statt den Angriff zu verurteilen, warnte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel nur vor "unkalkulierbaren Risiken". Die stellvertretende Generalsekretärin der Nato, Rose Gottemoller, ging noch weiter und lobte die Türkei als respektiertes Nato-Mitglied – drei Tage nach dem Angriff auf Afrin 3! Das war wohl als Freibrief gemeint und auch so angenommen worden. Derart ermutigt, erklärte Generalstabschef Akar am 22. Januar: „Operation wird solange fortgesetzt, bis der letzte Terrorist neutralisiert wird“4. Erdoğan lehnte schließlich jede zeitliche Befristung ab 5 , kündigte am 26. Januar an, die Operation nach Osten bis in den Irak auszudehnen und erklärte einen Tag später bis in das Gebiet Itlib im Süden vordringen zu wollen. Die Zurückhaltung der Bundesregierung kann als Absegnen der Militäroperation verstanden werden. Eine deutliche Kritik hätte den Angriff selbst nicht verhindert, aber womöglich dessen zeitliche und räumliche Ausweitung.

Die Menschenrechtslage

Durch den Krieg hat sich nicht nur die Gesamtlage in Syrien noch verschlechtert (UN-Hilfslieferungen in andere Teile des Landes mussten zeitweilig eingestellt werden 6 ), sondern auch die Menschenrechtslage in der Türkei, die nun bemüht ist, zusätzlich zur Regimekritik auch alle Proteste gegen den Krieg zu unterbinden. Zuletzt wurden Vertreter des Ärzteverbands verhaftet, die den Kriegseinsatz kritisiert hatten 7.

Dieses Vorgehen findet ein gewisses Echo in Deutschland, wo vor den Protesten gegen den Krieg am 27. Januar in Köln die deutsche Polizei ein „hartes Vorgehen“ angekündigt und am Ende den friedlichen Demonstrationszug wegen verbotener Öcalan-Fahnen (die selbst in der Türkei lange toleriert wurden) aufgelöst hat.

Ein hartes Vorgehen gegen kurdische Organisationen in Deutschland wird seit langem von der türkischen Regierung als Bedingung einer Verbesserung der Beziehungen eingefordert. Dieses harte Vorgehen gegen „Terroristen“ war selbst in der Türkei nicht durchgängig. Wir erinnern daran, dass während der Friedensverhandlungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK im Jahr 2015, ein Brief von Öcalan bei der Newroz-Feier in Diyarbakir auf Kurdisch verlesen werden konnte. Statt sich an dem damaligen Verhältnis zu orientieren, übernimmt die deutsche Regierung die derzeitige Terrorismus-Rhetorik der türkischen Regierung.

Terrorismus

So wie Assad alle kritischen Stimmen im Land als „Terroristen“ bezeichnet und verfolgt, hat sich der Begriff inzwischen auch in der Türkei für Oppositionelle aller Richtungen etabliert. Fanatiker, die möglichst viele Menschen in den Tod reißen wollen, werden mit Journalist*innen in einen Topf geworfen, die Kritik an der Menschenrechtslage äußern. Das gilt nicht nur für den Welt-Korrespondent Deniz Yücel, sondern für unzählige weitere Menschen in der Türkei. Er ist deshalb ein Skandal, dass es bei den ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen seit langem am 24.01.2018 nicht etwa um die Menschenrechtslage ging, sondern um einen „gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus“ 8.

Die Waffenlieferungen

In die Kritik geraten ist die Bundesregierung vor allem durch die Beteiligung deutscher Leopard-2-Panzer am Angriff gegen Afrin. Empörte Reaktionen haben die Regierung dazu bewogen, eine geplante Nachrüstung vorerst auf Eis zu legen. Es steht aber zu befürchten, dass die Nachrüstung vorgenommen wird, sobald das mediale Interesse nachlässt. Schon bei der Lieferung müsste allen Beteiligten klar gewesen sein, dass diese Panzer eingesetzt würden – auch wenn damals vor allem der Einsatz gegen die eigene Bevölkerung zu erwarten gewesen war. Ob an den Gerüchten über einen Deal „Nachrüstung von Panzern gegen die Freilassung von Deniz Yücel“ etwas dran ist, bleibt ungewiss. Zumindest hat Deniz Yücel öffentlich klargestellt, dass er für solche schmutzigen Deals nicht zur Verfügung steht 9. Wir würden uns zumindest ein bisschen dieses Standvermögens auch bei der Bundesregierung wünschen.

Eine Annäherung darf nicht mit dem Schweigen zu Menschenrechtsverletzungen und Kriegseinsätzen erkauft werden; das Schweigen führt nur zu einer weiteren Verschärfung. Eine Annäherung darf nicht mit härteren polizeilichen Maßnahmen gegen kurdische Organisationen oder andere Oppositionelle in Deutschland erkauft werden. Abschiebungen oder Auslieferungen in die Türkei sind angesichts der derzeitigen Menschenrechtslage unverantwortlich. Das gilt auch für Angehörige der Gülen-Bewegung - auch wenn sie selbst für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden. Und erst recht darf eine Annäherung nicht mit Waffenlieferungen oder dem Nachrüsten von Panzern erkauft werden.

TÜDAY
Menschenrechtsverein Türkei/Deutschland e.V
Türkiye Almanya İnsan Hakları Derneği
Human Rights Association Turkey/Germany
Komeleya Mafên Mirovan Tirkiye/Almanya